(Keine) Ruhe vor dem Sturm

Praktikumsbericht

Diese Zeilen auf den elektronischen Seiten eines Textverarbeitungsprogramms zu hinterlassen, fällt nicht leicht. Allzu fragmentarisch sind das Denken und Gedächtnis, um zusammen- und umfassend über eine Zeitspanne von mehreren Monaten zu berichten. Jeglicher Anspruch auf Vollständigkeit ist im Voraus zum Scheitern verurteilt. Dies zu akzeptieren, ist der notwendige Startpunkt zum Verfassen eines solchen Berichts. Aus diesem Grund wage ich es, das Abschiedsgeschenk in Form eines Buchs über (die) Undinge von Byung-Chul Han – dafür und für die exzellente Buchwahl bedanke ich mich an dieser Stelle noch einmal –, hin und wieder in diesem Bericht in Erscheinung treten zu lassen: Nicht zur Zerstückelung dieses Werks, sondern im Sinne einer Rekombination und -kontextualisierung gewisser Aspekte. Nützliche geistige Leitplanken sind schliesslich nur diejenigen, die auch dazu anregen, über ihre selbst gesteckten Grenzen hinauszudenken.

Das Wechselspiel von Theorie und Praxis geschieht, so zumindest der Anschein, über einer Kluft, die es zum Wechseln der Sphäre zu überwinden gilt. Dies selbst zu tun, erschien gerade nach einigen Jahren theoriefokussierter Arbeit besonders reizvoll und war Hauptmotivation dafür, in den vergangenen Monaten einen Blick in ein anderes Gesellschaftssystem (als die Wissenschaft) zu werfen. Wie es der Zufall so wollte, wurde die Politik das nächste Gesellschaftssystem, in das ich Einblick nehmen durfte – ein Grund zur Freude, da es ein schon lange gehegter Wunsch war, zumindest einmal (gerne auch mehrmals) im Leben das politische System von seiner «Innenseite» zu betrachten. Es handelt sich dabei um einen Blickwinkel, den es einzunehmen sich gelohnt hat. Jede neue Perspektive auf die Weltgesellschaft stellt auch neue Erkenntnismöglichkeiten zu Verfügung und bestärkt zudem das Wissen, dass so viel stets noch «ungewusst» bleibt und bleiben wird.

Natürlich möchte ich betonen, dass es ein Glück war, diese Zeit fast ohne Pandemiemassnahmen verbringen zu dürfen. Dennoch ist das Ineinandergreifen des virtuellen mit dem dinglichen, physischen Raum etwas, das es rückblickend besonders herauszustreichen gilt. Längst hat sich der Begriff der Hybridität zur Bezeichnung einer möglichst nahtlosen Verschmelzung dieser beiden Räume entwickelt. Dies hat sich auch deutlich im praktischen Alltag gezeigt und ist dort mittlerweile fest verankert, so wurden auch Sitzungen und Parteiveranstaltungen teilweise hybrid durchgeführt. «Die digitale Ordnung entdinglicht die Welt, indem sie sie informatisiert» (S. 9). Diese Kritik ist zwar begründet, es zeigt sich jedoch zugleich, dass die Hybridität dieser Welten noch nicht gänzlich einer vollständigen Informatisierung derselben gewichen ist – verdeutlicht beispielsweise durch das ausgeprägte Bedürfnis, sich zum politischen und persönlichen Austausch nicht nur über die virtuellen Kanäle zu vernetzen, sondern das «Andere» auch vor Ort, im Rahmen von (politischen) Veranstaltungen zu erleben. Es ist der Rhythmus dieser Veranstaltungen, der dem politischen Arbeiten den verlässlichen Takt vorgibt und trotz der Erfahrungen im Umgang mit virtuellen Welten noch nicht ganz in diese oder von dieser verdrängt werden. Politische Arbeit besteht nicht nur aus digitaler Kommunikation und Kampagnenarbeit, sondern grundsätzlich aus dem Gefüge menschlicher Beziehungen, die ihre Basis bilden. Es handelt sich dabei um einen Schluss, der sich aus den vergangenen Monaten ziehen lässt: Politik arbeitet zwar auch mit One-to-many- oder Many-to-many-Kommunikation, von noch grösserer Bedeutung für dieses System ist jedoch die Kommunikation, die sich jeweils zwischen den einzelnen Mitgliedern dieses Beziehungsgefüges ereignet und dieses System in seinem Kern stabil hält. 

Für den Einblick in das politische Gesellschaftssystem möchte ich mich herzlich bei allen bedanken, die das ermöglicht haben! Es hat sich um eine Zeit gehandelt, in der zwar kein Wahlstress geherrscht hat, dennoch ist nie Langeweile eingekehrt. Die Ruhe vor dem Sturm (in Form der schon bald anstehenden Wahlen) war nicht so ruhig, wie man das vielleicht denken mag. Was sich festhalten lässt, ist, dass es sich dabei um eine Zeit gehandelt hat, in der ich meinen Erfahrungsschatz in vielerlei Hinsicht erweitern durfte. Die Kluft zwischen Theorie und Praxis erscheint nun längst nicht mehr unüberwindbar, sondern ist etwas ganz und gar Natürliches, wie sich das im Alltag des politischen Arbeitens gezeigt hat.

Ich wünsche allen, die mich durch diese Zeit begleitet haben, alles Gute und viel Erfolg auf ihrem weiteren Weg!

Alena Frei

 

Anmerkung:

Eine Erklärung zum gänzlichen Fehlen eines illustrativen Bildes meiner selbst ist wahrscheinlich angebracht. Das moderne Selbstbildnis, das kein Abbilden und Erinnern zum Ziel hat, ganz im Gegenteil, meide ich nach Möglichkeit. Die Vorzüge der digitalen Fotografie, Echtzeit-Kommunikation und Vernetzung möchte ich nicht unterschlagen, da sie auch einen spannenden und wichtigen Teil meines Lebens und verschiedener Tätigkeiten darstellen. Hier jedoch soll der Text für sich allein sprechen.